Gestern habe ich Kushari gekocht. Das ist ein vegetarisches Mischmasch, bestehend aus Linsen, Reis, Kichererbsen, Nudeln, scharf-saurer Tomatensauce und gebratenen Zwiebeln. Man isst das anscheinend gern in Ägypten.
Komischerweise erinnerte es mich ans Schreiben, oder auch: den kreativen Prozess.
Zunächst wegen des Chaos. Trotz der Schlichtheit des Gerichts köchelte es in vielen Töpfen gleichzeitig, die Tomatensauce spritzte, und am Ende sah die Küche genauso unaufgeräumt aus, wie sich mein Kopf bisweilen anfühlt.
Dann wegen der “kulturellen Aneignung”. So wie ich mich eines ägyptischen Rezeptes bediene, ohne je einen Fuß in das Land gesetzt zu haben, verschlinge und benutze ich ständig Ideen, Gedanken, Zitate, Bilder, Eindrücke von anderen Leuten (und zwar von Goethe bis zum Säufer in der U-Bahn). Und befinde mich damit in bester Gesellschaft, denn alle machen das so (wie etwa David Bowie, der sagte: “Die einzige Kunst, mit der ich mich beschäftige, ist die, bei der ich klauen kann.”)
Schließlich war da noch die ewige Unsicherheit. Ich war mir nicht sicher, ob das Essen schmecken würde und ob die Gewürze die richtigen sind. Übermäßig besorgt war ich zwar nicht (schließlich war nur die Familie anwesend und keine snobistischen Gäste und obendrein ist das Gericht wirklich einfach zu kochen). Aber es war doch ein anderes Gefühl, als wenn ich was bestellt hätte. Und haben wir die Selbstzweifel nicht nur beim Kochen, sondern vor allem beim Schreiben?
Und tatsächlich gab es auch Beschwerden. Der Kleine schimpfte und rief nach Nudeln mit Pesto. Dann aß er doch ein bisschen, wenn auch nicht enthusiastisch. Aber so ist es eben - kein Gericht ist für jedermann, kein Text für jedefrau. Irgendwer meckert immer.
Das zu akzeptieren ist bereits eine Kunst.
Synapsen-Suppe
Aber mal was völlig anderes: Hast du vom Baader-Meinhof Syndrom gehört? Das ist dieses Wahrnehmungsmuster, dass uns überall Schwangere sehen lässt, sobald wir es selber sind. Oder rote Autos, wenn wir überlegen, eins zu kaufen.
Man nennt diese selektive Wahrnehmung auch "Frequenzillusion", aber ich mag den Begriff “Baader-Meinhof Syndrom” viel mehr. Er geht angeblich auf ein Diskussionsforum einer US-Zeitung zurück. Dort schrieb 1994 ein Leser, er habe kürzlich erstmals von Baader-Meinhof gehört, und seitdem begegne ihm der Name ständig. Darauf teilten andere Leser ähnliche Erlebnisse um die deutschen Terroristen, und der Begriff für das Phänomen war geboren.
Mein letztes Baader-Meinhof-Erlebnis war das sprichwörtliche “A canary in a cole mine” - ich las davon zuerst in einem Text von Etgar Keret (es ging um Antisemitismus oder Krieg oder etwas vergleichbar Düsteres). Danach entdeckte ich die Allegorie ständig und überall (Bedeutung: früher verwendeten Bergleute in den Kohlenminen Kanarienvögel als lebende Gaswarnanlage - sobald die Vögel nicht mehr zwitschern oder starben, hieß es: Achtung, raus hier, Gas!).
Phänomene wie das Baader-Meinhof Syndrom finde ich wahnsinnig interessant. Man könnte natürlich tiefer in die Hirnforschung einsteigen, aber im Grunde zeigen sie einfach, dass wir nicht Herrin im Haus sind. Dass unser Gehirn Umwege geht, Volten schlägt, wegen komischer Dinge plötzlich höchst alamiert ist oder stellenweise einfach pennt. Wie und worüber wir nachdenken, entscheiden wir meist gar nicht selber, sondern hauptsächlich - unser Unterbewusstes.
Aber: das zu akzeptieren und sich den Schlingtänzen im Oberstübchen einfach hinzugeben, hat auch etwas Befreiendes. Gerade wenn es um Kreativität geht. Denn die einzig logische Konsequenz ist: Hinsetzen und die Arbeit trotzdem erledigen, ganz egal, was wir grade denken. Schreiben, auch wenn im Kopf nur Selbstzweifel, surreale Assoziationen und rotlackierte Ferries herum rasen.
Deshalb lautet mein Dreiklang-Ratschlag heute:
Hintern auf den Stuhl.
Finger in die Tasten.
Und dann gerne: arabisch essen😊
Wäre zumindest schon mal ein guter Anfang!
xx Judith