Darf ich dich kurz nach Barbados entführen? Eine Karibikinsel wie aus der Fernsehwerbung: Sonne und Strände satt, durchsichtiges Wasser, entspannte Leute und kleine Bars an jeder Ecke.
Fun facs, bzw. Unique Selling Points: Barbados ist Geburtsort von Rihanna.
Hier befindet sich die angeblich älteste Rum-Brennerei der Welt (übrigens bestellt Daniel Craig im James Bond-Film Casino Royale einen “Mount Gay with soda”).
Und, ganz wichtig: Barbados liegt außerhalb des Hurrikan-Gürtels. Wird also gern als Safe Place im Vergleich zu vielen anderen Orten in der Karibik angepriesen, die im Herbst oft von Stürmen geplagt werden.
Vor einigen Jahren war ich drei Tage da, um die Schönheit der Insel zu erleben und anschließend für Zeitungen darüber zu schreiben. Man nennt das auch: Pressereise.
Es war Oktober. Als der Flieger landete, war es schon dunkel. Nur die Landebahn funkelte unter den Scheinwerfern, es regnete leicht. Karibische Wärme, Palmen als Schattenrisse am Straßenrand, das Einchecken im ältesten Hotel der Insel oben auf einer Steilklippe, die Vorfreude auf die kommenden Tage - all das war so schön, dass der Regen mich weder wunderte noch störte.
Am nächsten Morgen schlüpfte ich in Flatterhose und T-Shirt und rauschte voller Vorfreude auf schwarzen Kaffee, Mangos und Papayas aus meinem Zimmer - hinein ins absolute Chaos!
Die Palmen lagen kreuz und quer auf den Wegen, die große Fensterfront des Restaurants mit Blick aufs Meer war zertrümmert, der Esssaal verwüstet und die abends noch frischgefegten Wege übersät mit Ästen, Blättern und irgendwelchem Unrat.
Die Hotelgäste liefen recht orientierungslos durch das Tohuwabohu. Manche saßen in der Hotelbar und balancierten Styroporboxen mit einem Notfrühstück auf den Knien, einige trugen türkisgrüne Badetücher über den Kopf gehängt.
Ebenfalls mitten drin im Schlamassel: Der Hotel Manager. Wie er so betont ruhig, aber doch mit einem bestimmten Druck herumlief, erinnerte er mich an einen Tiger im Käfig.
Er berichtete den Gästen, dass ein Hurrikanausläufer die Insel in der Nacht erreicht und viel Schaden angerichtet habe, dass aber niemand gestorben sei und dass alles getan würde, um schnell wieder aufzuräumen. Und dass alle Flüge für die nächsten zwei Tage gecancelled seien.
Noch heute rieche ich die Rum-Fahne, die mit seinen Worten mitwehte. Es war zehn Uhr morgens.
Die restlichen Tage, für die eigentlich viele Besichtigungstermine geplant waren, vergingen sehr entspannt. Es gab ja nichts zu besichtigen - dazu lagen zu viele Strommasten, Palmen und Bretter herum. Alles war geschlossen und demoliert, die Insel war noch zu sehr Hexenkessel.
Immerhin konnte ich eine Jeep-Tour mitmachen - ein vergnügter Fahrer fuhr durch ein Urwald-artiges Gelände, schlug mit seiner Machete den Weg frei und gelegentlich eine Kokosnuss auf.
Die restliche Zeit schwamm ich mehrmals im Meer, das bleigrau und aufgeschäumt und warm wie eine Badewanne war.
Der unterhalb des Hotels befindliche Crane-Strand ist normalerweise für seinen rosa-farbenden Sand berühmt - in den 90ern soll dort mal eine Raffaello-Werbung gedreht worden sein soll. Nun war er weder rosa noch fancy, dafür aber schön leer.
Dann flog ich wieder nach Berlin, eine Flasche Mount Gay Rum im Gepäck.
Und ich dachte: Fuck, was soll ich nur schreiben?
Weil ich quasi nichts von der Insel gesehen hatte, fand ich es unpassend, etwas für den Reiseteil einer Zeitung zu schreiben. Natürlich muss eine Reisereportage nicht nach Werbekatalog klingen - aber einen Hurrikan auf einer Insel beschreiben, die normalerweise keine Hurrikans erlebt? Schwierig. Tatsächlich habe ich zum ersten und einzigen Mal nichts über eine Reise berichtet - und hatte noch lange danach ein schlechtes Gewissen und grübelte, wie ich das hätte lösen können.
Womit wir zum heutigen Fazit kommen:
Was ich damals nicht verstand: Der Reinfall war keiner, die Reise überhaupt nicht gescheitert.
Schließlich sagte die Art der Inselbewohner, mit dem Chaos umzugehen, sehr viel über das - Achtung Klischee - “karibische Lebensgefühl” aus. Mehr vermutlich als jeder Traumstrand- oder Museumsbesuch.
Es war auch ein guter Anlass, die Macht der Natur hautnah zu erleben und ihr mit Respekt zu begegnen (put a little Flugscham into the mix, for even more personal confusion:).
Und der Held der Geschichte: Mr. Tiefenentspannt, der Hotel-Manager mit der Rum-Fahne.
Zugegeben, ich brauchte ein bisschen, um das zu verstehen. Heute würde ich sofort über so ein - vermeintlich - gescheitertes Ereignis schreiben.
Scheitern ist ok, im Leben und fürs Schreiben sowieso. Man muss nur die gute Geschichte darin erkennen.
Und manchmal hilft, eine Flasche Mount Gay griffbereit zu haben:).
Cheers & until next week,
xx J
PS: Einer meiner Lieblingssprüche ist übrigens: “If you want to make God laugh, tell him your plans”.