Rhythm is it: Wie du deine Texte zum Tanzen bringst
Steckst du auch grad im Winterloch?
Irgendwie scheinen gerade alle um mich herum darin zu versacken. Wie etwa der Kumpel von mir, der neulich von einem Asien-Trip zurückkam und mir danach schrieb: “Dreckiges Scheiß Berlin. Alle umbringen hier!” (Scherz natürlich).
Dann geht gerade ein so rasanter Magen-Darm-Virus herum, dass erst die Kita und dann die Schule schließen musste - bei arbeitenden Eltern nicht gerade Hochgefühl-auslösend.
Und ständig höre ich von Winterdepressionen, Müdigkeit und davon, dass man doch bitte die Haustür immer zuziehen soll, weil sie wegen dem Splitt nicht mehr gut schließt und man kein Gesindel ins Haus locken will.
Kurz: alle wirken leicht damaged. Und ähnlich grau und pudelnass wie Berlin.
Aber weil ich manchmal gegen den Strom schwimme, geht es mir gerade hervorragend.
Vielleicht, weil ich doch von der Frische des neuen Jahres motiviert bin.
Vielleicht aber auch, weil ich in den letzten Wochen sehr körperlich geworden bin.
Konkret heißt das: Ich esse viel (nix mit Mäßigung nach Weihnachten), trinke viel (nix Dry January), jogge viel (Winter ist ideal, um durch den Görlitzer Park zu hechten - es ist angenehm leer, nur ein paar Dealer trotzen der Kälte unter den Bäumen), habe viel Sex (hehe jetzt bist du wach, was? Ist wirklich der leichteste Trick, um Aufmerksamkeit zu erregen:). Vor allem tanze ich viel (habe mir sogar neue Tanz-Sneaker zugelegt, super bequem und mit Spin-Funktion).
Was mich endlich zu meinem heutigen Thema bringt, nämlich:
Wie du Rhythmus in deine Texte bringst
Damit meine ich den Rhythmus, der über dem gesamten Text liegt. Quasi die Klangfarbe der Story, der Sound.
So klingen die abgehackten Dreiwortsätze irgendwelcher Abnehm-Coaches auf LinkedIn völlig anders als Thomas Manns “Zauberberg”. Und wir sprechen nicht vom Inhalt. Über das Gefühl, das beim Lesen entsteht, entscheiden also nicht nur die Worte, sondern auch die Satzlängen - denn die sind hauptsächlich für den Rhythmus zuständig.
Auch wenn deine Leser deine Texte nicht laut lesen, können sie den Rhythmus hören, weil sie das Gelesene als eine Art inneres Sprechen empfinden. Und inneres Sprechen ähnelt dem lauten Sprechen, jedenfalls spielt sich alles in einem ähnlichen Bereich im Gehirn ab.
Für dich beim Schreiben und Redigieren kann es aber hilfreich sein, deine Texte laut zu lesen. Dann erkennst du noch leichter, ob du einen langsamen Blues geschrieben hast, einen groovigen Swing - oder ob dein Text klingt wie das Rattern der ollen Bosch-Waschmaschine.
Klar ist auch, dass es je nach Kontext mehr Raum für das eine oder das andere gibt: die Schoko-Werbung am Bahnhof verlangt nach anderen Satzlängen als die Doktorarbeit, online liest sich flüchtiger als offline, etc.
Als Faustregel gilt: kombiniere kurze, lange und mittlere Sätze. Denn nichts ist öder, als wenn sich immer gleich lange Sätze aneinanderreihen. Rhythmus erzeugst du ganz einfach: Setze die Satzzeichen noch bewusster und spiele mit den Worten nicht nur hinsichtlich ihrer Bedeutung, sondern auch hinsichtlich ihrer Länge und ihres Klangs.
Hier ein Beispiel von Gary Provost:
Apropos Musik: Der irische Schriftsteller Colum Mccann schreibt:
Das Schreiben ist eng mit dem Tanzen verwandt. Hören Sie genau hin, während es sich erschafft. Lassen sie niemals zu, dass Fahrstuhlmusik dabei herauskommt. Erst Ihre Fähigkeit, das Letzte aus sich herauszuholen, wird Sie von anderen unterscheiden.
Und weil ich schon dabei bin, hier noch ein Zitat von Mary Oliver:
Rhythm is one of the most powerful of pleasures, and when we feel a pleasurable rhythm we hope it will continue. When it does, it grows sweeter.
Und noch eins von John O’Donohue:
Music is what language would love to be if it could.
Um nochmal kurz zu zeigen, wie lebendiges, rhythmisches Schreiben klingt, hier ein Satz aus Wolfgang Herrndorfs wunderbaren Tagebuch Arbeit und Struktur. Als er das schrieb, war er schon heftig vom Krebs gezeichnet. Stehen konnte er da kaum noch und tanzen erst recht nicht. Aber er hat seine Sätze zum Tanzen gebracht:
Was nicht mehr geht, ist Schleife binden. Der Sanitäter bindet mir die Schuhe, während seine Kollegin mich in der Senkrechten hält und ich an die Papptafel in der Vorschule denken muß. Auf der Papptafel hundert bunte Schleifchen, unter jedem Schleifchen ein Name, obendrüber groß: “Meine erste Schleife”. Wie lange ist das her?
Hab eine unfallfreie Woche,
xx Judith
PS: Und geh endlich mal wieder tanzen!