Mama fliegt nach New York
Ich sitze im Flieger nach New York.
Grad eben hab ich den Amsterdamer Flughafen verlassen, wo ich mich über den ganzen Käse gewundert habe (da stapeln sich in vielen Läden Gauda-Laibe, die in knallbunte Folien verpackt sind). Beim Abflug waren wir noch in trüben, morgendlichen Dezembernebel gehüllt. Ein paar Minuten später tauchten wir aus der Wolkenschicht auf und die Sonne verbreitete ein mildes, sahniges Licht, Aufbruchstimmung!
Ich freue mich wahnsinnig auf diesen Trip – ich sehe meine kleine Nichte zum ersten Mal, und außerdem NY nach vielen Jahren wieder - bei meiner letzte Reise war ich jung und kinderlos (und: das World Trade Center stand noch).
Allerdings fiel mir der Abschied gar nicht leicht. Der Sechsjährige klagte, wütete, jammerte und wollte unbedingt mit. Er verhandelte und bat, ich solle ihn einfach im Koffer mitnehmen. Und dann sagte er: „Ich war noch nie in New York!“
Diese innere Zerrissenheit schon wieder!
Sie zeigt, wie schwer sich der Wunsch nach Abenteuer, Abwechslung, Aufbruch (oder manchmal einfach nur Ruhe) mit der Mutterrolle vereinbaren lässt. Wie viele Gedanken, wie viel extra Organisation es benötigt, wenn man dem Drang oder der Notwendigkeit nachgibt, einmal nicht zu 100 Prozent zur Verfügung zu stehen.
Oder gar kurz über den Ozean zu fliegen.
Was für eine Zerreißprobe es ist, zwischen Autonomie und sorgender Präsenz zu navigieren - nicht nur, aber ganz besonders für Mütter.
Ein ähnliches Dilemma stellt sich beim Schreiben. Es ist nicht immer einfach, sich ins Innere zurückzuziehen, vielleicht sogar irgendwelche Abgründe erörtern oder zumindest der Inspiration Raum geben, während ein Kind wegen der Mathe-Aufgaben weint und das andere nach Hintern-Abputzen verlangt.
Bei diesem oft ermüdenden Eiertanz zwischen care und creativity kann sich vielleicht die Überzeugung einstellen, dass das eine (das alltägliche Sorgen) rein profan ist, das andere hingegen (die schöpferischen Stunden) rein profund.
Aber das ist natürlich Quatsch.
Erstens ist nicht jede einzelne kreative Übung von großer Qualität gekennzeichnet (der Trick ist, Quantität zu schaffen, nur dann entsteht auch irgendwann Qualität).
Und das Interessante am Kinderhaben ist ja, dass sich die läppischsten Begehren („Mama, ich will das neue Ninjago-Heft haben, sofort!“) mit den tiefgründigsten Themen („Mama, es ist gar nicht schlimm wenn man tot ist, dann wird man ein Engel und ich freu mich schon darauf“) abwechseln - manchmal im Minutentakt.
Dass auch der alltäglichste Familienalltag profund sein kann, ist eine Tatsache, die man leicht übersieht – und zwar ganz besonders wenn man nie rauskommt und sich keine Außensicht, bzw. Auszeiten gönnt.
Womit ich soeben für die Legitimierung meiner New York-Reise gesorgt habe:-).
* * *
Mittlerweile bin ich angekommen, habe schon am Flughafen mehr Leute lachen gehört als in Berlin in zwei Wochen und sitze im Café gegenüber von “Strand Books”, dem wohl berühmtesten Buchladen der Stadt - da werde ich gleich erstmal abtauchen!
Have a great week & talk to you soon!
xx Judith