Im Frühling lag meine Mutter wegen einer Knieverletzung in der Reha und berichtete von einem Gespräch mit ihrer Zimmernachbarin:
Die 93 jährige Annie hatte ihr ausführlich über ihr Familiengrab erzählt, in dem sich bereits ihr Mann liegt. Das Grab sei schon lange im Voraus bezahlt, ganz klar, dass Annie auch einmal da hineinkommen werde. Als sie aber neulich einmal bei dem Grab war, sah es zerwühlt und unordentlich aus.
Annie wunderte sich und zog ihre Familie zu Rat. Die kümmerte sich und es stellte sich heraus, dass die Friedhofsangestellten versehentlich eine falsche Urne in eben jenes reservierte Familiengrab verbuddelt hatten - eigentlich sollte die Urne unter einem Baum beigesetzt werden. Also wurde die Urne wieder ausgegraben und vorschriftsgemäß unter dem Baum verscharrt, und wenige Tage später hing auch ein Schild mit dem Namen und dem Geburtsdatum einer jung verstorbenen Frau am Baum. Ein Verwandter von Annie meinte zu dem Vorfall: “Ist doch schade, dein Mann hätte sich doch bestimmt gefreut, mal wieder eine junge Frau neben sich liegen zu haben.”
Warum ich das hier wiedergebe?
Um die doppelt und dreifache Freude am Morbiden zu zeigen (ein Verwandter, der solche Witze macht, die 93jährige Annie, die in der Reha siecht und mit größter Lust und Detailfreude solche Geschichten zählt. Meine Mutter, mit 81 auch nicht grade die allerjüngste, die mir die Story lang und breit in ihr Handy tippt, und bei jeder Gelegenheit grinsend den Satz sagt: “Jeder Tod hat sein Gelächter.”
Ich beschäftige mich viel mit Humor: Zum Beispiel wie er sich zwischenmenschlich oder im Berufsleben auswirkt (ich lese gerade das Buch Humour, Seriously zum Thema).
Oder wie er funktioniert bzw. wie man ihn erzeugen kann (was technisch und manchmal kompliziert ist, denn: “Explaining a joke is like dissecting a frog. You understand it better but the frog dies in the process.”
Warum er in der Werbung so gut funktioniert (hallo Berliner Stadtreinigung, ihr macht das super!).
Oder wie und warum es zwar ein grundsätzliches Bedürfnis aller Menschen ist, zu lachen - es aber so große regionale Unterschiede in Sachen Humor gibt (bin schon gespannt auf das Buch The Humor Code, das noch ungelesen unter meinem Bett liegt).
Meinen persönlichen Humortyp kenne ich mittlerweile. Entweder bringen mich hyperdrastische, finstere und intellektuell stimulierende Witze zum Lachen - oder alles mit Penissen. Also entweder highend oder dumb ‘n’ dirty, und es darf gerne über Grenzen gehen.
Trotz aller Humor-Toleranz war ich sehr erstaunt, dass es schon wenige Tage nach dem Hamas-Terror eine Comedyshow darüber zu sehen gab. Der deutsch-israelische Comedien Shahak Shapira hat es tatsächlich geschafft, etwas Witziges rauszuhauen, während alle noch unter Schockstarre standen. Ich finde sein Bühnenprogramm in seiner Direktheit und Rohheit genial (falls du sie nicht gesehen hast, hier kannst du es nachholen). Es heißt “Baklavas from Gaza” und trägt den wichtigen Zusatz: “Comic Relief for Israel & Palestine”.
Denn genau das ist der Kern, um den es hier geht - um die Erleichterung via Humor, die komische Katharsis, die es leichter macht, das Unaussprechliche zu ertragen.
Mittlerweile ist schon mehr Lustiges über die Hamas-Attacken, vor allem aber auch über die absurden Reaktionen weltweit erschienen. Zum Beispiel ganz frisch eine Folge der israelischen Comedyshow Eretz Nehederet, die die Abreiß-Aktionen der Geisel-Plakate an amerikanischen Universitäten und die woken Unlogischheiten kommentiert.
Wer Comedy macht oder überhaupt Humor erzeugen will, muss Empathie haben - ganz besonders bei düsteren Themen. Der Clown oder die Satirikerin müssen die Atmosphäre und Stimmung erspüren, damit die Witze nicht flach fallen, sondern mit dem Publikum resonieren. Und das Publikum wiederum muss wissen, dass die Katharsis des Lachens die Trauer vielleicht unterbrechen kann, nicht umbedingt aber beenden.
Shahak Shapira hat drei Tage gebraucht, um mit seinem Programm rauszugehen (er musste auch nur Rücksicht auf ein kleines, wohlgesonnenes Publikum in einem Berliner Comedyclub nehmen).
Eretz Nehederet benötigte dafür 19 Tage (weil es auf die Erschütterung eines ganzen traumatisierten Volkes reagieren musste - übrigens wurde auch Saturday Night Live genau 19 Tage nach dem 11. September 2001 erstmals wieder ausgestrahlt).
Wieder andere humoristische Formate werden erst viel später entstehen - so wie Hitler ja immer noch hervorragendes Comedy-Material hergibt.
Ach so, und manchmal passieren die witzigsten Witze völlig ohne das Zutun von professionellen Gag-Schreibern, quasi aus Versehen.
Wie etwa: “Queers for Palestine” oder “Gays for Gaza” - das ist so geil gaga!
Hab eine schöne & lustige Woche, trotz allem,
deine Judith
P.S. Wenn du auf weitere gute Comedy oder Witze zum Thema stößt, schicke es mir bitte, ich brauch' dringend mehr zum Lachen!