Neulich, an einem milden Tag, saß ich an der Spree und wurde unfreiwillig Ohrenzeugin eines Dialogs.
(Exkurs: Ich bin oft unentschlossen, was draußen am besten zu tun ist: Podcasts hören für den Kopf, Musik hören für die Seele oder Passanten zuhören für die Stories - derzeit mag ich die beiden letzteren Optionen am meisten).
Jedenfalls kommen da zwei Omas in Steppmänteln vorbeigelaufen. Sie bleiben an der Schaukel stehen, die seit neuestem an der Uferpromenade nahe der East Side Gallery steht.
Sie quatschen noch kurz, dann setzt sich die eine auf die Schaukel, nimmt Anschwung und legt los.
Und ruft: “Macht det Spaß, ick fühl mich wie als Kind!”
Die andere, stehende, kommentiert: "Wie mit fünfe, wa?”
Die schaukelnde: “Aber ick muss aufpassen dass ich nich runterfall!”
Die stehende: “Na an sowas denken Kinder aber nich.”
Die schaukelnde: “Aber Kinder sind auch nich so schwer wie icke. Willste auch mal?”
Die stehende: “Nee bloß nich, ick muss mal pullern und hier gibts ja weit und breit nüschte.”
Aber kaum ist die eine von der Schaukel gestiegen, klettert die andere doch noch drauf, schaukelt los und lacht ihr gickerndes Oma-Lachen.
Dann trippeln die beiden weiter. Vielleicht voller nostalgischer Gedanken an ihre Kindheit in den 50er Jahren, vielleicht im verwegenen Gefühl, etwas Ungewöhnliches gemacht zu haben, vielleicht nur auf der Suche nach einem Klo.
Und ich schaue ihnen nach und denke: "Alles richtig gemacht, Ladies!”
Denn darum geht es ja immer, im Leben wie am Schreibtisch: Die Barriere zu überspringen. Sich etwas trauen, auch wenn es nur ein kleines Wagnis ist. Loszulegen, selbst wenn es (von wem auch immer) als unpassend angesehen wird, sich eigentlich nicht ziemt, oder sich seltsam anfühlt.
Die Damen hätten sich die Schaukel auch verkneifen können - wie die eine es ja auch beinahe getan hätte.
So wie man sich oft genug verkneift, über das zu schreiben, was einen wirklich bewegt oder was vielleicht anecken könnte - sodass man sich lieber über unverfängliche Dinge auslässt. Oder man schreibt und veröffentlicht erst gar nicht. Man malt nicht das Bild, eröffnet nicht das Café, geht wegen der Fettröllchen am Bauch nicht zum Pole-Dance, obwohl man schon immer davon geträumt hat.
(Das mit dem heimlichen Pole-Dance-Traum hat mir mal eine ständig gestresste, mehrfache Mutter mit viel Speck um die Hüften erzählt - zu cool, wenn sie tatsächlich mal im knappen Höschen an der Stange turnen würde).
Aber es doch zu wagen, lohnt sich so sehr. Und klar: Es gehört ein bisschen Mut dazu, vor allem am Anfang. Aber je mehr man sich traut, desto einfacher. Genau wie auf der Schaukel - je mehr Schwung, desto leichter wird’s.
Also, swing on und genieß deine Woche,
xx Judith
Ich glaube meine liebe Frau sieht euch beide schon bei ganau solchen Aktionen in knapp 30 Jahren.