Drei Schreibtipps - inspired by James Joyce
Morgen ist Bloomsday.
Am 16. Juni feiert Dublin den weltweit einzigen Feiertag, der einem Buch gewidmet ist: Ulysses von James Joyce.
Die mächtige stream-of-conciousness-Schwarte ist wohl allen ein Begriff – obwohl sie fast niemand tatsächlich gelesen hat. Wie Dante Alighieris Göttliche Komödie, Karl Marx’ Das Kapital oder Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften gehört es zu den berühmtesten nicht-gelesenen Büchern der Weltliteratur.
Der Roman beschreibt einen einzigen Tag, den 16. Juni 1904, genauer: die Odyssee des Leopold Bloom durch Dublin.
James Joyce begann 1914 mit dem Ulysses, er schrieb sieben Jahre lang. In den USA und Großbritannien wurde das Buch gleich verboten (viel zu pervers!) und erst Jahre später auf den Markt gebracht.
Am 16. Juni 1929 feierte James Joyce so etwas wie den ersten Bloomsday. Damals lebte er im selbst gewählten Exil in Paris und lud Freunde in ein Hotel in der Nähe der Stadt ein. Auch der Dramatiker Samuel Beckett war dabei, und der Abend endete laut David Norris (Politiker, Queer-Aktivist und Joyce-Kenner) ziemlich irisch:
Auf dem Rückweg nach Paris […] bestanden Joyce und Beckett darauf, an jeder Kneipe anzuhalten, um noch mehr Wein zu trinken. Irgendwann wurde es dem Kutscher, der die Gesellschaft begleitete, zu bunt. Er fuhr los und ließ den völlig betrunkenen Beckett in einer Kneipentoilette zurück, von der dieser erst am nächsten Tag wieder nach Paris zurückgelangte.
Massenparty für ein Buch
Gesoffen wird am Bloomsday heutzutage immer noch– dazu gibt es aber auch Verkleidungspartys, Lesungen, Stadtführungen, Ausstellungen und Theaterstücke. Dazu kommen jede Menge Touristen, die sich einen Strohhut aufsetzen und sich mit James-Joyce-Boxer-Shorts und Motto-Teetassen eindecken.
Und natürlich besuchen viele die realen Orte, die James Joyce seiner fiktiven Geschichte zugrunde legte. Er hat nämlich nicht nur die Möglichkeiten der damaligen Literatur gedehnt (innerer Monolog ohne Punkt und Komma), die Grenzen der Sittlichkeit gesprengt (er schrieb u.a. über Menstruation, Masturbation, dem Genuss von Innereien, dem Gestank von Ausscheidungen jeder Art) und die Konzentrationsfähigkeit seiner Leser herausgefordert (das Buch ist über 260,000 Wörter schwer).
Er hat auch seiner Heimatstadt Dublin ein Denkmal errichtet.
Er sagte:
Ich möchte ein Abbild von Dublin erschaffen, so vollständig, dass, wenn die Stadt eines Tages vom Erdboden verschwände, sie aus meinem Buch heraus wieder aufgebaut werden könnte.
Einige Orte existieren sogar noch, wie z.B. die ehemalige Apotheke Sweny, wo Leopold Bloom im Roman Zitronenseife kauft. Den alten Laden gibt es immer noch, heute verkaufen hier Joyce-Nerds Joyce-Bücher und veranstalten Joyce-Lesungen.
Ich bin da vor Jahren mal hineingeraten und fühlte mich wie in einer Selbsthilfegruppe. Bunt zusammengewürfelte Menschen saßen da zusammen, statt im Stuhlkreis etwas beengt zwischen engen Regalen, und jeder las einige Absätze aus dem Ulysses vor.
Egal ob mit spanischem Akzent, stotternd oder mit dünnem Stimmchen - allen wurde wohlwollend zugehört, Köpfe wurden ermutigend genickt, es wurde freundlich gelacht wenn jemand seine Probleme mit einem bestimmten Kapitel preisgab, Tee wurde gereicht und alle versuchten mit vereinten Kräften, das monströse Buch irgendwie in den Griff zu kriegen. Und selbst wer nur Zitronenseife kaufen wollte, wurde herzlich als Teil der James-Joyce-Familie willkommen geheißen.
Ich bin übrigens aus persönlichen Gründen so fasziniert von dem ganzen Ulysses-Zirkus. Und zwar wurde ich in Dun Laoghaire geboren (10 Euro für alle, die den Namen richtig aussprechen) und verbrachte meine ersten Lebensmonate in Sandycove.
Diese beiden Vororte von Dublin liegen direkt am Meer. Man kann sich je nach Wetterlage von der wilden See nass spritzen lassen oder Vanille-Eis mit dicken Schoko-Stangen drin kaufen. Neben der Badestelle Forty Foot, wo Menschen zu jeder Jahreszeit in die kalten Wellen springen (früher gerne nackt), steht der Martello Tower.
Und exakt hier beginnt der Ulysses.
Auch das ist kein Zufall – James Joyce hat den 16. Juni 1904 als Datum seines Romans gewählt, weil er sich an diesem Tag zum ersten Mal mit seiner zukünftigen Frau Nora Barnacle am Strand von Sandycove getroffen hat, ganz in der Nähe des Turms. Und es heißt, dass die beiden da heftig zur Sache gekommen sind.
Ich wurde also im Kinderwagen genau da entlang gefahren, wo James Joyce 72 Jahre zuvor rumgefummelt hat, und wo die Anfangsszene seines Irrsinnswerk spielt:-).
Und jetzt endlich drei Schreibtipps, inspired by James Joyce
#1 Schaff dir Struktur
Selbst das größenwahnsinnige Mammutwerk Ulysses hat eine klare Struktur: Ein Mann läuft einen Tag lang durch Dublin und erlebt Sachen. Fertig. Egal ob zeitliche oder räumliche Struktur, ob Listicle oder eine sonstige Form - wenn du deinem Text ein inneres oder äußeres Gerüst gibst, wird er sofort griffiger.
#2 Sei neugierig
Joyce zeigt, dass jede Banalität zum Thema werden kann. Der Besuch einer Wäscherei, der Verzehr eines Gorgonzola-Sandwiches und alle denkbaren Aktivitäten der private parts - ALLES ist Material, aus so gut wie allem lässt sich etwas Wertvolles erschaffen. Es kommt nur darauf an, den Blick dafür zu öffnen - und das Beobachtete einigermaßen geschickt und mit eigenen Gedanken angereichert aufzuschreiben.
#3 Schreib nicht wie Joyce
Wer verstanden werden möchte, sollte sich NICHT an Joyce orientieren. Er sagte selbst über Ulysses:
Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit.
Empfehlenswert ist seine (oder eine ähnlich herausfordernde Schreibweise) nur, wenn deine Leserinnen und Leser extrem geduldig und experimentell sind. Und quasi bereit für den ultimativen LSD-Trip.
Aber falls du mit deinen Texten informieren, verkaufen, überzeugen oder einfach nur ein paar Punkte klären möchtest, mach es lieber nicht Joyce, sondern serviere deine Texte lieber im Espresso-Style: kurz, klar und knackig.
Damit wünsche ich dir einen schönen Bloomsday und eine wunderbare Woche,
deine Judith “liest irgendwann auch den Ulysses” Hyams
PS: Hat hier irgendwer Ulysses gelesen? Dann oute dich ruhig in den Kommentaren. Oder schreib mir, welches gewaltige Buch du mal lesen willst - wenn endlich genug Zeit und Raum da ist. Ich bin gespannt!