Als Reisejournalistin und -fanatikerin musste ich am Dienstag natürlich zur ITB (die Internationale Tourismus-Börse). Erst war ich auf dem Fernsehturm auf einem kleinen Pressefrühstück - Kaffee, Stimmung und Aussicht waren wirklich gut:
Danach ging es weiter zur ITB, wo ich den drei Sorten Messe-Gängern begegnete, auf die ich mich jeden Frühling freue:
1. Die „lets-get-some-serious-business-done-Kerle“
Meist männlich, meist dunkelblaues Jacket, Testosteron-Kinn und Jetset-Bräune. Dazu der schleichende Gang eines Raubtiers kurz vorm Zuschnappen. Ich weiß, das klingt nach Klischee und Vorabendserie, aber wer mal ein paar klassisch-kapitalistische Machos in Echt sehen will – die Messe ist voll davon. Und natürlich haben alle ein gewinnendes Dale-Carnegie-Lächeln drauf.
2. Das Fußvolk
Das sind all diejenigen, die die Messe am Laufen halten, dabei aber nicht wirklich an hohen Umsätzen beteiligt sind. Dazu zählen Berliner Brezelverkäufer ebenso wie die Saudis, die den lieben, langen Tag Kardamom-Tee aus goldenen Kannen ausschenken und dabei rote Palästinensertücher auf dem Kopf tragen (die natürlich gar keine sind, also die Tücher - weil die Träger ja Saudis sind und keine Palästinenser, aber von hier aus betrachtet kommt man da leicht durcheinander:).
Die Frauen im Engelskostüm (weißes Minikleid, weiße Pumps, Flügel) gehören auch zum Fußvolk, ebenso wie (buchstäblich) der Pantoffelhersteller am Marokko-Stand, der seinem ehrlichen Handwerk nachgeht, wenn er nicht grade aufs Handy starrt. Und natürlich Trommler jeder Art. Trommeln stehen auf der Messe für „traditionell“. Und Tradition zieht immer.
3. Die Freaks
Was wäre die Messe ohne sie? Es lief mir z.B. Martin Lejeune über den Weg, der Erdogan-Aficionado, Israel-Basher und Preisträger des „Goldenen Aluhuts“ (seit wann ist der Mann eigentlich im Tourismus tätig?).
Dann begegnete ich einem guatemaltekischen Aktivisten gegen Kinderarbeit, der gerade weltweit Sponsoren für seine abenteuerlichen Projekte zu gewinnen versucht, die auch irgendwas mit Comics zu tun haben – ein hektischer, sympathischer Typ, dessen Vortrag so verwirrend war, dass ich danach erstmal ein Bier brauchte. Praktisch, dass wir uns grade am Pilsener-Urquell-Stand kennengelernt hatten (seiner Information nach übrigens ein Unternehmen, das in Sachen Kinderarbeit eine weiße Weste hat - na dann Prost!).
Schräge Typen finden sich zwischen den Anzugmenschen jedenfalls zu Genüge.
Aber nicht nur die Leute begeistern mich jedes Jahr wieder, auch die Claims und Slogans sind großartig.
Meist in ihrer Verwechselbarkeit.
Wie etwa die Behauptungen: „Experience the exceptional“ und „Welcome to a world of excellence“. Das stand auf riesigen Werbebannern vor dem Messegelände und sollte Qatar Airlines bewerben.
Gähn.
In einer „world of excellence?“ würde man ja gerne leben, aber wo gibts denn die? Und wie kann ich bitte „the exceptional experiencen“?
Saudi Arabien wiederum warb mit dem Foto dreier hübscher, strahlender junger Frauen, die untergehakt durch eine Einkaufspassage laufen, darauf der Spruch: „Entertainment beyond imagination“ (ich finde das klingt nach Porno-Titel - oder hab ich eine komische Phantasie?).
Ziemlich enttäuscht war ich von Kolumbien, dessen Slogan folgender war: „Colombia, the country of beauty“.
Hallo mein geliebtes Colombia, home of Gabriel García Márquez, Salsa und Wahnsinnsstädten wie Cartagena, Bogotá und Cali, wieso schmückst du dich mit so einem lahmen Spruch? Vor allem, wo du schon 2008 bewiesen hast, wie mutiges Marketing geht?
„El riesgo es que te queries quedar“ (Das Risiko ist, dass du hierbleiben willst) – damit warb Kolumbien damals, und ich finde, es war einer der stärksten Länder-Slogans überhaupt. Er stach deutlich heraus unter den anderen touristischen Logos, die meist nur Ländernamen mit einem schalen “Wonderful”, “Remarkable”, “Essential” oder gar “Amazing” verzieren.
Warum Kolumbiens Slogan so verdammt gut ist?
Weil er den Elefanten im Raum adressiert.
Und das entscheidende Wort ausspricht:
Risiko!!!
Denn Kolumbien bedeutet für viele Leute genau das: Ein einziges Risiko.
Auch wenn es in den letzten Jahren immer sicherer wurde - das Landesimage ist immer noch geprägt von Pablo Escobar, FARC und permanenten Drogenkriegen.
Als Kolumbien 2005 mit dem ersten “Country Branding” anfing, hieß der Slogan noch “Colombia ist Leidenschaft”. Ziemlich müde, wie auch das Tourismusministerium bald feststellte.
Mit dem neuen “Das einzige Risiko ist, dass du hierbleiben willst” dockten die Werbeleute dann direkt an die Gedankengänge potentieller Gäste an.
Sie schnappten sich den Begriff “Risiko” und verknüpften ihn mit einer positiven Message. Und sie gingen auf die Einwände der Kundschaft proaktiv ein - anstatt sie zu ignorieren und zu kaschieren.
Damit nutzten sie die Methode „anticipate and address the objections“.
Das ist ein sehr effektives Copywriter-Prinzip, das allerdings etwas Mut braucht. Aber eigentlich gilt das ja überall, auch jenseits des Werbetextens und des Versuchs, Touristen in die einstige Narco-Hochburg Medellín zu locken.
Unangenehmes und Problematisches anzusprechen, statt es unter den Teppich zu kehren stünde jedenfalls auch vielen anderen gut zu Gesicht - aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.
Jetzt ist erstmal Zeit für ein (ethisch einwandfreies) Pils,
xx Judith
PS: Interessant war auch der Stand von Haiti – ein schlichter, weißer Schuhkarton von Stand mit exakt zwei (!) Flyern zum Mitnehmen.
Auf dem einen stand:
„Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie „Haiti“ hören?“
Da würde einem natürlich einiges einfallen. Allerdings vielleicht nicht gerade das, was die Broschüre nun vorschlägt:
„Literatur, Malerei, Voodoo?”
Dann geht es im Text wie folgt weiter:
“Die Insel bietet paradiesische Landschaften mit gewaltigen Bergen und wunderschönen weißen Sandstränden. Die „Perle der Antillen“ hat ihren Reiz von einst bewahren können. Für all diejenigen, die eine authentische und außergewöhnliche Reise verlockend finden, entpuppt sie sich als einzigartiges Ziel innerhalb der Karibik: zwischen Entspannung und breitem Lächeln?“
Das Fragezeichen ist kein Tippfehler, das stand da so.
Jetzt möchte ich sofort nach Haiti. Zum Entspannen und fürs breite Lächeln?
Und um den Leuten vor Ort beim Insel-Marketing zu unterstützen.
Ich glaub da geht noch was.