Letzte Woche habe ich hier über den inneren Kritiker geschrieben.
Aber es gibt natürlich auch den äußeren, leider sehr realen Kritiker.
Jeder, der mal vegane Zucchini-Muffins zum Kinderfest beigetragen hat, sich im Online-Dating ausprobiert oder versucht, die Nachbarn zu einer gemeinsamen Kiez-Verschönerungs-Aktion zu vereinen, kennt es: das Prinzip Absage.
Kritik begegnet uns also täglich, in allen Schattierungen zwischen dezenter Ablehnung und Shitstorm.
Dazu muss ich kurz von einem Salsa Club namens “Cactus” erzählen. Der befand sich in Montreal, wo ich Anfang der Nullerjahre eine Weile lang lebte. Ich war jung, tanzfanatisch und trug den Namen “Mercedes” (weil ich die einzige Deutsche unter lauter Latinos und Frankokanadiern war).
Das mit den Spitznamen war gängige Praxis. Fast alle Stammgäste hatten welche - je absurder und doppeldeutiger, desto besser.
Einer von ihnen wurde allgemein nur “Tiburón” genannt, auf Deutsch: Haifisch!
Tiburón war sehr klein, kompakt, mittelalt und konnte weder gut tanzen noch Französisch oder Englisch sprechen. Reich und/oder irgendwie attraktiv war er auch nicht. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, ständig zu baggern - er war sowas wie der weiße Hai unter den Aufreißern.
Er kam immer schon mit so einem glasigen Blick in den Club, nahm die nächstbeste Frau ins Visier, verfolgte sie und textete sie zu. Manchmal schaffte er es sogar, sie auf die Tanzfläche zu ziehen (auch bei mir glückte ihm das einmal). Und wenn er abgewiesen wurde (was wegen seiner unvorteilhaften Features permanent passierte), fing er das Spiel mit der Nächsten von vorne an.
Er kam oft in den Club. Und alle Frauen, die schon mal seine Bekanntschaft gemacht hatten, flüchteten, sobald sie ihn sahen (oft allerdings zu spät - weil er mindestens ein Kopf kleiner war als alle anderen, sah man ihn meist erst, wenn er sich unter den Ellenbogen und an den Hüften irgendwelcher Leute vorbeigedrängelt hatte und plötzlich direkt vor einem stand). Wo Tiburón auch hinkam - es wurde freundlich “No” gesagt, mit den Händen abwehrend gewedelt oder auch einfach wortlos umgedreht.
Eines Nachts hatte ich ihn wieder erfolgreich abgewimmelt, aber zum Abschied drückte er mir eine Plastiktüte in die Hand. “Un regalo”, sagte er, ein Geschenk.
Mit einem schnellen “gracias” schwirrte ich ab, und warf erst unter der übernächsten Straßenlaterne einen Blick in die Tüte. Darin: Ein kurzes, schwarzes Textil, angesiedelt irgendwo zwischen Unterhemd und Minikleid. Und ein Stringtanga.
Zu 100 % aus Polyester.
Ich klemmte die Tüte unter den Arm, ging nachhause, erzählte allen, die es hören wollten von dem seltsamen Geschenk, ließ es erst in der Ecke rumliegen und warf es später weg, verließ irgendwann die Stadt und begann ein deutlich erwachseneres Leben in Berlin (eins, wo man seltener auf Haifische trifft).
Heute, in Zeiten von “awareness” und “safe spaces”, würde man Tiburóns Verhalten noch viel unmöglicher als damals finden. Ich wüsste jedenfalls zu gern, ob er immer noch seine Bahnen durch die Clubs zieht und Plastikhöschen verteilt.
Aber ich muss auch sagen - was für eine Chuzpe!
Da marschiert jemand absolut unbeirrbar auf sein Ziel zu - und kassiert Absage um Absage. Und marschiert weiter, von all der Ablehnung offensichtlich nicht weiter geplagt. Tiburón wirkte auch nie aggressiv oder bedrückt, er war einfach nur - penetrant. Und zwar so sehr, dass ich mir ganz sicher bin, dass er es IRGENDWANN mal geschafft haben muss. Irgendeine Frau muss sich doch mal (ganz buchstäblich) herabgelassen haben.
Ich finde, allein von seinem Durchhaltewillen und seiner Unbeirrbarkeit könnten zartfühlende Kreative wie du und ich durchaus lernen.
Womit ich endlich bei Andy Warhol bin, dessen Beispiel ich hier auch erwähnen möchte, weil es natürlich viel besser und größer ist als der tanzende Haifisch mit dem Tanga:
Und zwar hatte Andy Warhol dem berühmten Museum of Modern Art in New York eins seiner Werke geschenkt, eine Zeichnung namens “Shoe”. Das war 1956, also eher in den Anfängen seiner Karriere. Die Reaktion des MoMA? Eine klare Absage und die Bitte, das eingesandte Werk wieder abzuholen.
In dem (vom MoMA coolerweise später selbst veröffentlichten) Brief heißt es:
Dear Mr. Warhol,
Last week our Committee on the Museum Collections held its first meeting of the fall season and had a chance to study your drawing entitled Shoe which you so generously offered as a gift to the Museum.
I regret that I must report to you that the Committee decided, after careful consideration, that they ought not to accept it for our Collection.
Let me explain that because of our severely limited gallery and storage space we must turn down many gifts offered, since we feel it is not fair to accept as a gift a work which may be shown only infrequently.
Nevertheless, the Committee has asked me to pass on to you their thanks for your generous expression of interest in our Collection.
Sincerely,
Alfred H. Barr, Jr
Director of the Museum Collections
P.S. The drawing may be picked up from the Museum at your convenience.
Nach dieser Zurückweisung hätte Andy Warhol eigentlich einpacken können. Hat er aber nicht - der Rest ist Geschichte. Heute hängen Warhols Werke an den Wänden des MoMA - und gehören zu den teuersten Stücken der Sammlung.
Und wer weiß, vielleicht hat auch Tiburóns Biss sich doch noch ausgezahlt gemacht. Vielleicht schlürft er jetzt gemeinsam mit seiner langbeinigen, stinkreichen Ehefrau Cocktails in einem Penthouse (während sich der ehemalige “Mercedes” grade mit einer Mieterhöhung, verbranntem Grießbrei und einem akuten Bad-Hair Day herumplagen muss:).
Also, wenn du mal wieder Motivationsprobleme hast - nimm dir einfach die tapferen Klinkenputzer als Vorbild, die mit Kunstwerken oder Stringtangas hausieren gehen😄).
Und wie versprochen noch zwei Podcastfolgen, die mich in den letzten Tagen begeistert haben:
Ein spannendes und höchst kontroverses Thema ist die Berichterstattung über den Krieg in Israel/Gaza (bzw. sämtliche “Nahost-Konflikte”). Wer an first-hand-Einsichten und klugen Analysen hierzu interessiert ist, dem empfehle ich dieses Interview im “Econtalk-Podcast”mit dem Journalisten Matti Friedman. Unbedingt hören, schon allein um Didi Hallervordens “Gaga Gaga”-Ergüsse aus dem Hirn zu kriegen.
Und wer absolut irrsinnige, aber reale Geschichten liebt, wird im “What it was like-Podcast” fündig. Z.B. diese crazy story hier: “On August 9, 1996, the cast and crew of Titanic ended a big day of shooting with a seafood dinner. An hour later, around 40 people started feeling queasy, including director James Cameron. Later, it would turn out that somebody had spiked the clam chowder with a hallucinogenic drug called PCP or ‘angel dust’. In this episode, assistant camera operator Jamie Barber tells us how the crew ended up in hospital, dancing in a conga line.”
Hab eine fantastische Woche!
xx Judith
Great 👍